Seit fast 30 Jahren leitet Rosemarie Schotte die Weihnachtspostfiliale in Himmelstadt bei Würzburg, eine von sieben in ganz Deutschland. 80 000 Briefe an das Christkind beantworten sie und ihr Team in jedem Advent. Im Interview erzählt sie, wie sich die Wünsche der Kinder im Laufe der Zeit verändert haben, wie sie ihre Fantasie fördern will – und warum ihr die Antworten an Menschen in Not besonders am Herzen liegen.
Frau Schotte, Sie beantworten seit 1993 Briefe ans Christkind – und investieren dafür wahnsinnig viel Kraft und Zeit. Warum?
Wenn ich in die Rolle des Christkinds schlüpfe, versuche ich den Kindern den Glauben daran zu geben: Da ist etwas. Es muss ein Christkind geben, denn es hat mir einen Brief geschrieben. Immer wieder höre ich von Eltern, dass das funktioniert.
Was schreiben Sie den Kindern?
Ich schreibe nicht: „Du hast schöne Wünsche – mal gucken, ob Du alles kriegst.“ Sondern ich möchte den Kindern mit meinen Worten ein Lächeln auf die Wangen zaubern – und sie ein bisschen glücklich machen. Und ich möchte denen Trost spenden, die ihn brauchen.
Zum Beispiel?
Zum Beispiel, wenn sie unter Mobbing leiden, unter schulischen Problemen, unter Essstörungen oder Streit zwischen den Eltern. Oder wenn ihre Oma oder ihr Opa gestorben sind. Oder ihr Haustier – da hängen die Kinder ja auch sehr dran. Mir schreiben sogar Kinder, die ihr Kuscheltier verloren haben und ganz verzweifelt sind. Mir schreiben aber auch Eltern, die verzweifelt sind, weil ihr Kind krank ist, schlimm krank.
Was antworten Sie, wenn Kinder Ihnen schreiben, dass ihre Oma gestorben ist?
Manche schreiben: „Würdest Du meiner Oma bitte sagen, dass ich sie sehr liebhabe und vermisse?“ Ich antworte dann: „Behalte Deine Oma in Deinem Herzen. Dann ist sie immer bei Dir. Und schau doch am Abend in den Himmel. Da ist Deine Oma, hinter dem hellsten Stern am Himmel. Sie schaut auf Dich herunter und passt auf Dich auf. Deine Oma ist jetzt Dein Schutzengel. Und Du kannst der Oma alles sagen, was Dich bedrückt. Sie hört Dich.“ Wenn ich sowas schreibe, dann kommt mein Glaube zum Tragen.
Wie sehr treffen Sie die Schicksale, von denen Sie in den Briefen lesen?
Ich leide da sehr mit. Ich bin sowieso nah am Wasser gebaut. Wenn ich abends die Weihnachtspostfiliale zuschließe und nach Hause gehe, dann lasse ich das Leid, von dem ich gelesen habe, nicht dort. Ich nehme das mit nach Hause. Manchmal habe ich die halbe Nacht damit zu kämpfen, bis ich endlich schlafen kann. Das ist schon heftig.
Wie lange brauchen Sie für Ihre Antworten auf traurige Briefe?
Manchmal dauert es viele Stunden, bis ich sie fertig habe. Wenn ich merke, es geht nicht mehr, lege ich ihn zur Seite und schreibe am nächsten Tag weiter. Ich gebe mir große Mühe mit jedem einzelnen Brief.
Und? Wirken Ihre Worte?
Auf jeden Fall! Oft schreiben mir Eltern später: „Du hättest unsere Tochter sehen müssen: wie sie gestrahlt hat, als sie Deinen Brief gelesen hat. Sie ist jetzt so glücklich. Du hast ihr sehr viel Trost gegeben.“
Wie viele Briefe beantworten Sie pro Jahr persönlich?
Ungefähr 400. Individuell antworte ich immer dann, wenn es um Themen wie Krankheit und Tod geht, um große persönliche Not. Ich antworte dann handschriftlich. Ich stelle fest, in diesem Jahr ist meine Schrift nicht mehr so besonders. Aber ich weigere mich, das anders zu machen.
Allein die individuellen Antworten dürften eine Menge Zeit kosten. Wie lange sitzen Sie so im Weihnachtspostamt – in den Wochen, in denen es geöffnet hat?
Ich fange morgens um acht Uhr an und sitze da oft durchgehend bis abends um zehn. Es ist auch schon mal halb elf geworden. Im vergangenen Jahr habe ich aber zweimal meinen Mann um halb acht angerufen und gesagt: „Ich kann nicht mehr.“
Sie sind immerhin fast 82 Jahre alt.
Ja, und wenn’s nach meinem Mann ginge, hätte ich längst aufgehört. Ich bin halt körperlich nicht mehr so ganz fit. Aber ich liebe dieses Weihnachtspostamt, trotz allem. Ich mache die Arbeit hier für mein Leben gern. Das Weihnachtspostamt ist mein Baby – und ich denke schon mit Schrecken daran, wenn ich irgendwann mal nicht mehr hier sitzen kann.
Wie viele Helfer haben Sie?
Insgesamt sind wir ungefähr 40 Leute. Da unten im Weihnachtspostamt sitze ich immer in der Mitte und sage den Leuten: „Wenn was ist, bitte meldet euch. Ich bin da.“ Sie bekommen auch jedes Jahr ein neues Infoblatt, wo alles haarklein drinsteht, wie die Antwort sein sollte und wie sie nicht sein darf.
Wie viele Wochen im Jahr hat Ihr Weihnachtspostamt geöffnet?
Wir fangen Anfang November mit den gemeinsamen Vorbereitungen an. Ich natürlich schon früher. Jedes Jahr formuliere ich einen neuen Standardbrief, den alle bekommen. Dieser Standardbrief wird gedruckt. Wir stecken ihn dann in das Kuvert. Dazu kommen vier aneinanderhängende Postkarten in weihnachtlicher Gestaltung. Und für die Kinder ein Lesezeichen.
Für die Erwachsenen auch?
Für die Erwachsenen kommt das Lesezeichen raus und ein schönes weihnachtliches Gedicht rein oder das Weihnachtsevangelium, ein kleines Rezept oder eine Weihnachtsknobelei.
Was steht in der Standardantwort?
Wir bedanken uns in dem Brief für die wunderschönen Bilder und Basteleien, die die Kinder mitschicken. Wenn die Kinder Fragen haben, antworten wir ihnen. Wenn es sehr viele Fragen sind, legen wir ihnen einen Zettel bei, auf dem sie die Antworten auf die häufigsten Fragen finden können.